Ikonen — Gedanken zur Ausstellung in der Lutherischen Pfarrkirche

Iko­ne Hei­li­ger Lukas (Svia­to­s­lav Vla­dy­ka, 2013)

In der Luthe­ri­schen Pfarr­kir­che St. Mari­en wer­den vom 6. März (Ascher­mitt­woch) bis zum 10. April 2019 zeit­ge­nös­si­sche Iko­nen aus der ortho­do­xen Tra­di­ti­on zu sehen sein. Es han­delt sich um Wer­ke von jun­gen Künst­lern aus der Ukrai­ne, aus Polen, Weiß­russ­land, Rumä­ni­en und Georgien.

Als Ein­füh­rung gehen wir im Fol­gen­den der grund­sätz­li­chen Fra­ge nach, ob es so etwas über­haupt gibt oder geben kann: eine ortho­do­xe Iko­ne in einer evan­ge­li­schen Kirche?

His­to­risch lässt sich die Fra­ge leicht mit einem Aus­flug nach Fran­ken beant­wor­ten: In der evan­ge­lisch-luthe­ri­schen Pfarr­kir­che des Dorfs Kal­ben­stein­berg, 40 km süd­west­lich von Nürn­berg, befin­det sich seit alters eine rus­si­sche Iko­ne. Sie zeigt den Hl. Theo­dor Stra­ti­la­tes, einen sog. ‚Sol­da­ten­hei­li­gen‘, also einen Sol­da­ten des römi­schen Hee­res, der in der Früh­zeit des Chris­ten­tums das Mar­ty­ri­um erlit­ten hat.

Der Tra­di­ti­on ent­spre­chend erscheint im Haupt­feld der Iko­ne der Hei­li­ge, als Sol­dat in vol­ler Waf­fen­rüs­tung. Zwölf rah­men­de klei­ne Bil­der stel­len Sze­nen aus sei­nem Leben und sei­nem Mar­ty­ri­um vor Augen. Die Iko­ne dürf­te aus der Psko­ver Mal­schu­le stam­men und gegen Ende des 16. Jahr­hun­derts ent­stan­den sein. Wahr­schein­lich hat sie ein Nürn­ber­ger Patri­zi­er im 17. Jahr­hun­dert von einer Geschäfts­rei­se nach Russ­land mit nach Hau­se gebracht und der Kal­ben­stein­ber­ger Kir­che geschenkt.

Als Kurio­sum ist die­se Iko­ne schon lan­ge bekannt. Johann Alex­an­der Döder­lein (1675–1745), Gym­na­si­al­rek­tor in der benach­bar­ten Reichs­stadt Wei­ßen­burg, ver­öf­fent­lich­te 1724 eine Schrift mit dem Titel: „Sla­vo­nisch-Rus­si­sches Hei­lig­t­hum mit­ten in Teutsch­land“. Dar­in fin­det sich eine detail­lier­te Dar­stel­lung der Iko­ne, einer „von aller­hand bun­ten Far­ben auch weit­läuff­ti­gen Bey­schriff­ten gezier­ten Tafel“. Das Buch ist eines der ers­ten Zeug­nis­se für die Beschäf­ti­gung eines deut­schen Pro­tes­tan­ten mit der rus­si­schen Iko­no­gra­phie. Zugleich ist es ein Zeug­nis dafür, wie ein luthe­ri­scher Theo­lo­ge, der zur frü­hen Auf­klä­rung gehör­te, die rus­si­sche Kir­che gese­hen hat. Einer­seits kri­ti­siert er die ihm aber­gläu­bisch erschei­nen­den Prak­ti­ken ortho­do­xer Fröm­mig­keit, dar­un­ter auch Aus­wüch­se in der Bil­der­ver­eh­rung. Ande­rer­seits beschreibt er das „Hei­lig­t­hum“ mit gro­ßer Sym­pa­thie. Dabei lei­tet ihn nicht zuletzt ein erbau­li­ches Inter­es­se an der Dar­stel­lung des Hei­li­gen, der für sei­nen Glau­ben gestor­ben ist.

Die­ser Fra­ge wol­len wir nun nach­ge­hen: Kann die Anbrin­gung oder Aus­stel­lung von Iko­nen in einer evan­ge­li­schen Kir­che tat­säch­lich „die christ­li­chen Gemü­ter“, wie Döder­lein schreibt, erbauen?

Iko­ne Theo­do­rus Stra­tela­tes (Ev.-Luth. Pfarr­kir­che Kal­ben­stein­berg, Foto: wikimedia)

Das Vor­bild der Heiligen

Was die Abbil­dung von Hei­li­gen angeht, kann man auf das Augs­bur­ger Bekennt­nis von 1530 ver­wei­sen — es fin­det sich auch im Evan­ge­li­schen Gesang­buch (Nr. 808). Laut Arti­kel 21 sol­len durch­aus auch evan­ge­li­sche Chris­ten der Hei­li­gen geden­ken. Es stär­ke den Glau­ben, „wenn wir sehen [!], wie ihnen Gna­de wider­fah­ren und auch wie ihnen durch den Glau­ben gehol­fen wor­den ist; außer­dem soll man sich an ihren guten Wer­ken ein Bei­spiel neh­men, ein jeder in sei­nem Beruf“. Eine Anru­fung der Hei­li­gen, damit sie Für­bit­te ein­le­gen, schließt das Augs­bur­ger Bekennt­nis natür­lich aus, es gibt aber bild­li­chen Hei­li­gen­dar­stel­lun­gen doch auch ein gutes Recht in einer evan­ge­li­schen Kir­che. Denn am Bei­spiel der Hei­li­gen wäre zu „sehen“, wie sich christ­li­ches Leben unter den je ver­schie­de­nen Zei­ten und Umstän­den gestal­tet hat — und zwar unter der Gna­de Gottes.

Das ent­spricht durch­aus dem Sinn der ost­kirch­li­chen Iko­nen­kunst: Die Bil­der sind kei­ne blo­ße Zier­de. Die Dar­stel­lung von vor­bild­li­chen Chris­ten und die Sze­nen aus ihrem Leben tra­gen stets eine Bei­schrift: den Namen des Hei­li­gen, oft auch kur­ze Anga­ben zu den am Rand abge­bil­de­ten Bege­ben­hei­ten. Die Iko­nen haben dem Gläu­bi­gen tat­säch­lich etwas „zu sagen“. Wür­de man sie nur zur Zier­de oder aus kunst­ge­schicht­li­chem Inter­es­se aus­stel­len, wider­sprä­che das dem Sinn der Iko­nen — wie auch dem Cha­rak­ter eines evan­ge­li­schen Kir­chen­rau­mes. Das heißt: Zur Iko­ne gehört die Lebens­ge­schich­te des dar­ge­stell­ten Hei­li­gen. Eine inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sem Chris­tus­zeu­gen muss zur Betrach­tung des Bil­des hin­zu­tre­ten, und zwar unter der Fra­ge­stel­lung, was er oder sie uns heu­ti­gen Chris­ten­men­schen noch zu sagen habe.

Die Iko­nen und das alt­tes­ta­ment­li­che Bilderverbot

In der Refor­ma­ti­ons­zeit war die Fra­ge, ob Bil­der einen Platz in einer Kir­che haben dür­fen, hoch umstrit­ten. Die Ent­fer­nung von Bil­dern, die Bil­der­lo­sig­keit ist dabei zum Merk­mal der „refor­mier­ten“, also cal­vi­nis­ti­schen Kir­chen gewor­den, wäh­rend die Luthe­ra­ner die Bil­der bestehen lie­ßen und auch neue bild­li­che Dar­stel­lun­gen ange­fer­tigt haben. Die Luthe­ri­sche Pfarr­kir­che von Mar­burg ist dafür ein Bei­spiel. Sie wur­de, nach­dem der Land­graf von Hes­sen-Kas­sel die Bild­nis­se und Kreu­ze im Jahr 1605 mit Gewalt aus der Kir­che ent­fer­nen ließ, seit 1624 erneut damit aus­ge­stat­tet, als Mar­burg wie­der luthe­risch sein durfte.

Für die Refor­mier­ten fand sich ein nahe­lie­gen­des Argu­ment gegen die Bil­der in der Bibel: Das zwei­te der Zehn Gebo­te ver­bie­tet die Bil­der (2. Mose 20,4). Legt man refor­mier­te und luthe­ri­sche Kate­chis­men neben­ein­an­der, stellt man fest: Die Luthe­ra­ner haben die­ses Zwei­te Gebot küh­ner­wei­se aus­ge­las­sen. Um den­noch auf die Zahl Zehn zu kom­men, wur­de dafür das letz­te Gebot in zwei Gebo­te aufgeteilt.

In unse­rem Zusam­men­hang ist es auf­fäl­lig, dass die Kate­chis­men der Ortho­do­xie die­sen Weg der Luthe­ra­ner gera­de nicht beschrit­ten haben. In ihrer Auf­lis­tung der Zehn Gebo­te steht das Gebot „Du sollst dir kein Bild­nis machen“ unver­än­dert da. Und das, obwohl die Kir­chen der Ortho­do­xen voll mit Bil­dern sind! Wie ist die­ser Befund zu deuten?

Die Ost­kir­che pflegt eine Bild­kunst, die sich einer Jahr­hun­der­te lan­gen theo­lo­gi­schen Refle­xi­on ver­dankt. Im ost­rö­mi­schen (byzan­ti­ni­schen) Reich waren die Bil­der kei­nes­wegs unum­strit­ten. Im 8. und 9. Jahr­hun­dert tob­te hier ein hef­ti­ger Streit um die Bil­der. Mit­un­ter waren es die Kai­ser selbst, die nahe­zu alle Bil­der in ihrem Reich ver­nich­ten ließen.

Der Streit nötig­te zur Refle­xi­on. Kann man einen unend­li­chen Gott in ein Bild ban­nen? Han­delt es sich dabei nicht um den vor­wit­zi­gen Ver­such des Geschöp­fes, sei­nen Schöp­fer ein­zu­gren­zen in einer irdi­schen Vor­stel­lungs­welt? Die Gott­heit an sich ist aber immer unend­lich grö­ßer als alles, was wir uns von ihr vor­stel­len kön­nen. Gilt die­se Unmög­lich­keit — so ist wei­ter zu fra­gen — dann nicht auch für Chris­tus, den mensch­ge­wor­de­nen Got­tes­sohn? Hat Chris­tus Teil an die­ser „Unum­schreib­bar­keit“ Gottes?

Patri­arch Ger­ma­nos von Kon­stan­ti­no­pel (717–730), ein Befür­wor­ter der Iko­nen, gestand unum­wun­den zu, dass wir uns von der unsicht­ba­ren Gott­heit kein Bild machen kön­nen: „Denn selbst die hohen Chö­re der Engel ver­mö­gen die Gott­heit nicht völ­lig zu erken­nen oder zu ergrün­den.“ Das alt­tes­ta­ment­li­che Bil­der­ver­bot hat in die­sem Sin­ne sei­nen blei­ben­den Sinn und sein fort­dau­ern­des Recht. Dann geht Ger­ma­nos aber auf die Iko­ne Chris­ti ein. Und hier macht er einen wesent­li­chen — heils­ge­schicht­li­chen — Unter­schied: „Nun hat aber der ein­ge­bo­re­ne Sohn, der im Schoß des Vaters ruht (Joh 1,18), da er sein eige­nes Geschöpf aus dem Todes­ur­teil zurück­ru­fen woll­te, nach dem Rat­schluss des Vaters und des Hl. Geis­tes gnä­dig beschlos­sen, Mensch zu wer­den. Er hat an unse­rem Fleisch und Blut Anteil genom­men, in allem uns gleich außer der Sün­de, wie der gro­ße Apos­tel sagt (Hebr 4,15). Aus die­sem Grun­de stel­len wir sei­ne mensch­li­chen Züge bild­lich dar, so wie er als Mensch dem Flei­sche nach aus­sah, und nicht sei­ner unbe­greif­li­chen und unsicht­ba­ren Gott­heit nach. Denn es drängt uns dar­zu­stel­len, was unse­res Glau­bens ist, dass näm­lich Chris­tus nicht nur schein­bar, schat­ten­haft Mensch gewor­den ist, son­dern wirk­lich und wahr­haft und in allem vollkommen.

Got­tes Sicht­bar­keit: in Jesus Christus

Für die Dis­kus­sio­nen in der ortho­do­xen Theo­lo­gie war dies der ent­schei­den­de Gesichts­punkt, der auf dem VII. Öku­me­ni­schen Kon­zil von 787 den Aus­schlag für die Bil­der gab: Gott sel­ber hat sich in Chris­tus sicht­bar gemacht und uns sein men­schen­freund­li­ches Ange­sicht gezeigt. Und die­sen Glau­ben brin­gen wir zum Aus­druck, wenn wir Chris­tus — hin­sicht­lich sei­nes Mensch­seins — darstellen.

Unab­hän­gig davon, ob der evan­ge­li­sche Chris­ten­mensch für sich die Bil­der befür­wor­tet oder ablehnt: Ist hier nicht doch ein wesent­li­ches Stück des Chris­ten­tums erkannt wor­den? Näm­lich dies, dass wir nicht an einen abs­trak­ten Gott glau­ben, son­dern an Gott in Chris­tus. Dass wir Gott nur des­we­gen erken­nen, weil er sich uns zu erken­nen gege­ben hat — und zwar so, dass wir ihn auch wirk­lich erken­nen kön­nen, eben weil er ein Mensch wie wir gewor­den ist.

Das Kon­zil von 787 unter­schei­det streng zwi­schen der so ver­stan­de­nen Iko­ne und den heid­ni­schen Göt­zen­bil­dern. Was beson­ders heid­nisch wirk­te, waren Skulp­tu­ren von Gott­hei­ten. Die Ost­kir­che hat des­we­gen nie sol­che geschnitz­ten und gemei­ßel­ten Bild­wer­ke zuge­las­sen, son­dern allein das gemal­te oder mosai­zier­te, zwei­di­men­sio­na­le Bild für ange­mes­sen gehalten.

Auch die Ver­eh­rung der Bil­der, die Pro­tes­tan­ten bei ortho­do­xen Gläu­bi­gen ja beson­ders fremd anmu­tet, wird in der Ent­schei­dung des Kon­zils theo­lo­gisch reflek­tiert. Die ver­eh­ren­den Ges­ten wer­den näm­lich streng von der Anbe­tung unter­schie­den, die allein Gott zukommt. Fer­ner sol­len sich die Ver­eh­rungs­ges­ten natür­lich nicht auf Far­be, Lein­wand oder Mosa­ik­stein­chen bezie­hen, son­dern in einem über­tra­ge­nen Sinn auf die dar­ge­stell­ten Per­so­nen, also Chris­tus, sei­ne Mut­ter, die Engel und die Hei­li­gen: „Je öfters wir näm­lich die­se durch die Bil­der betrach­ten, des­to mehr wer­den wir uns durch das Sehen der Bil­der an die Urbil­der erin­nern und sie lie­ben, und sie küs­sen und ver­eh­ren, frei­lich nicht mit jener Anbe­tung, die nach unse­rem Glau­ben allein der gött­li­chen Natur gebührt.“

Dazu Karl Chris­ti­an Fel­my, der lang­jäh­ri­ge Pro­fes­sor für Geschich­te und Leh­re des christ­li­chen Ostens an der evan­ge­lisch-theo­lo­gi­schen Fakul­tät in Erlan­gen. Sein Buch über die Chris­tus-Iko­nen (Frei­burg 2004) lei­tet er mit fol­gen­der Beob­ach­tung ein:

In einer Semi­nar­übung über die Theo­lo­gie der Iko­ne habe ich die Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten auf­ge­for­dert, ein Got­tes­bild zu malen oder, falls ihnen dies aus irgend­ei­nem Grun­de schwer fie­le, fest­zu­hal­ten, war­um es ihnen nicht mög­lich sei oder, wie sie es anstel­len wür­den, wenn sie dazu imstan­de wären. Das Ergeb­nis war bei mehr­fa­chen Ver­su­chen ähn­lich. Die meis­ten Stu­den­ten gin­gen mit Eifer an die Sache, mal­ten Drei­ecke, Krei­se und Lini­en, die sie dann tief­sin­nig inter­pre­tier­ten. Es gab aber auch ortho­do­xe Semi­nar­teil­neh­mer. Sie zöger­ten zwar mehr­heit­lich, selbst zum Zei­chen­stift zu grei­fen, erklär­ten aber über­ein­stim­mend, das Chris­tus­bild sei die ein­zi­ge Mög­lich­keit der Gottes-Darstellung.

Iko­ne Chris­tus Pan­to­kra­tor (Michai Coman, Ukrai­ne 2017)

Eine bibel­be­zo­ge­ne Kunst

Man sieht, dass die Iko­nen­theo­lo­gie bis heu­te ihre Spu­ren im Bewusst­sein ortho­do­xer Chris­ten hin­ter­las­sen hat. Damit hängt eine stren­ge Aus­wahl von Moti­ven zusam­men, die für eine Iko­ne in Fra­ge kom­men. Denn das Prin­zip, das hin­ter der Theo­lo­gie von der Mensch­wer­dung Chris­ti steht, lau­tet ja: Von Gott lässt sich nur dar­stel­len, was er uns von sich gezeigt hat, oder: was Men­schen ein­mal haben sehen dür­fen. Damit ist die Iko­nen­kunst im Grun­de genom­men eine streng bibli­sche Kunst. Dar­ge­stellt wird, was Men­schen nach dem Zeug­nis der Hei­li­gen Schrift auch wirk­lich gese­hen haben.

Aus die­sem Grun­de kann es kein direk­tes Bild von Gott dem Vater geben, denn der Vater hat sich als sol­cher nir­gends in der Hei­li­gen Schrift sehen las­sen. Hier liegt ein bemer­kens­wer­ter Unter­schied zur west­li­chen Kunst mit ihren bar­t­rau­schen­den Gott­va­ter-Dar­stel­lun­gen vor! Im Christ­li­chen Osten kann die Hei­li­ge Drei­fal­tig­keit nur in bibli­schen Sze­nen abge­bil­det wer­den. Da ist zum einen die Tau­fe Chris­ti: Hier zeigt die Iko­ne in genau­em Anschluss an die Bibel Jesus im Jor­dan, über ihm die Tau­be des Hei­li­gen Geis­tes, und am obe­ren Bild­rand eine Wol­ke, die für das unsicht­ba­re Wesen des Vaters steht, der spricht: „Die­ser ist mein Sohn“. Der Hei­li­ge Geist kann nur des­we­gen als Tau­be gemalt wer­den, weil er sich so (sym­bo­lisch ver­schlüs­selt) zu erken­nen gege­ben hat. Unor­tho­dox ist es des­we­gen, die Figur der Tau­be aus dem Bild­zu­sam­men­hang der Tau­fe Chris­ti zu lösen und die Tau­be nun an allen mög­li­chen ande­ren Orten, etwa unter dem Schall­de­ckel einer Kan­zel, als Bild des Hei­li­gen Geis­tes anzu­brin­gen. Für die öst­li­che Bild­tra­di­ti­on hat die Tau­be dage­gen ein­zig im Rah­men der Tauf­sze­ne ihren legi­ti­men Ort.

Eine ande­re Wei­se, die Drei­fal­tig­keit dar­zu­stel­len, ist sodann der Besuch der drei Män­ner bzw. Engel bei Abra­ham und Sara im Hain von Mam­re, wie er in 1. Mose 18 erzählt wird. Die Aus­le­gung der Kir­chen­vä­ter hat in der Drei­zahl die­ser Gestal­ten einen ver­bor­ge­nen Hin­weis auf das Geheim­nis der Tri­ni­tät gese­hen. Wo die­se drei Engel gemalt wur­den, han­delt es sich immer um eine Dar­stel­lung der bibli­schen Sze­ne. Wo die drei Engel allein erschei­nen und die bewir­ten­den Abra­ham und Sara feh­len, haben die Künst­ler dem Sinn der Iko­nen­ma­le­rei nicht ent­spro­chen. Nun gibt es aller­dings sol­che Iko­nen und auch zahl­rei­che ande­re Gegen­bei­spie­le zu mei­ner The­se, die Iko­nen­kunst sei zutiefst biblisch. Es gibt z.B. gro­ße Men­gen rus­si­scher Iko­nen aus dem 19. Jahr­hun­dert, die in ganz west­li­cher Manier Gott den Vater zei­gen, der als Greis mit schloh­wei­ßem Bart aus dem Him­mel schaut. Die Iko­nen­kunst hat kein iso­lier­tes Dasein geführt und ist von den Moti­ven der west­li­chen Kunst mit­un­ter beein­flusst wor­den. Doch hat gera­de das 20. Jahr­hun­dert zu einer Rück­be­sin­nung auf die Wur­zeln der ortho­do­xen Male­rei und ihre theo­lo­gi­schen Grund­ent­schei­dun­gen geführt. Es sind Grund­ent­schei­dun­gen, die es gera­de evan­ge­li­schen Chris­ten leich­ter machen, in den Iko­nen einer zwar kul­tu­rell frem­den, reli­gi­ös aber durch­aus ver­ständ­li­chen Welt zu begegnen.

Die Iko­nen und das Gebet

Die Iko­nen haben die Funk­ti­on, Zei­chen der Gegen­wart Got­tes zu sein, bild­li­che Ver­ge­gen­wär­ti­gung der Tat­sa­che, dass Gott sich uns zu erken­nen gege­ben hat und uns gnä­dig als Du gegen­über­tritt. Iko­nen mit dem Ange­sicht Chris­ti geben also nicht Kun­de von einem Men­schen aus längst ver­gan­ge­nen Tagen, son­dern sind Zei­chen der Begeg­nung. Dies hebt die schö­ne geist­li­che Aus­le­gung des angli­ka­ni­schen Theo­lo­gen Rowan Wil­liams her­vor: „Gott zeigt sich uns in die­sem Gesicht nicht wie ein Objekt, vor uns auf­ge­baut, damit wir es inspi­zie­ren; nein, die­ses Gesicht zeigt uns Gott, indem es uns mit­nimmt auf eine Rei­se zur Ent­de­ckung der zwi­schen uns und Jesus geschaf­fe­nen Bezie­hun­gen… Wenn wir uns im Nach­den­ken und Beten auf die­se Bil­der ein­las­sen, dann wird uns der Weg gezeigt dort­hin, wo das Licht wohnt: tie­fer in allem, als wir je kom­men kön­nen, und weit jen­seits von allem, wei­ter als was wir je errei­chen kön­nen — und doch: hier ein­fach vor unse­ren Augen, im Ange­sicht Jesu, das uns anblickt.“

Von Prof. Dr. Karl Pinggéra
(aus: Kir­che in Mar­burg 03/2019)

Prof. Dr. Karl Ping­gé­ra lehrt Kir­chen­ge­schich­te am Fach­be­reich Evan­ge­li­sche Theo­lo­gie der Phil­ipps-Uni­ver­si­tät Mar­burg. Sei­ne Schwer­punk­te lie­gen auf dem Gebiet der Ost­kir­chen­ge­schich­te und der Ori­en­ta­li­schen Kir­chen­ge­schich­te. Zur­zeit ist er Vor­sit­zen­der der Gesell­schaft zum Stu­di­um des Christ­li­chen Ostens.

 

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