Blick von Südosten
Die in Nähe der Stadtautobahn, doch etwas versteckt gelegene St.-Jost-Kapelle wurde vor der Mitte des 14. Jahrhunderts jenseits der Lahn gebaut für die sog. Frauensieche. Hier, außerhalb der Stadt, durften sich Menschen, die an Infektionskrankheiten wie Lepra litten, aufhalten. An den Heiligen Jodokus (Jost) als Patron wandten sich im späten Mittelalter Pilger, aber vor allem auch schwer Erkrankte auf ihrem letzten Weg um Hilfe. Die Männersieche (mit einer eigenen Hauskapelle) befand sich übrigens etwa 200 m weiter östlich, wo heute der Alte Kirchhainer Weg auf die Georg-Voigt-Straße trifft. Sie wurde 1962 abgerissen, das Siechenhaus bei St. Jost im Jahr 1969.
Doch weiterhin versammelt sich in der St.-Jost-Kapelle zur Wochenschlussandacht am Samstag um 17 Uhr eine buntgemischte Gemeinde. Sie kommt nicht nur aus Weidenhausen und vom Ortenberg, sondern aus ganz Marburg. Das „Kapellchen“ ist auch ein beliebter Ort für Taufen und Trauungen. Die Glocke lässt sich vom Kirchenschiff aus noch von Hand läuten. Der historische Friedhof bei St. Jost ist heute ein Friedwald und wird von der Stadt Marburg verwaltet. 2017 soll der in die Jahre gekommene Anbau von St. Jost als Gemeindehaus im Ostbezirk der Universitätskirchengemeinde neu errichtet werden.
Innenraum mit Orgel
Aus der Untersuchung des Dachgestühls der St.-Jost-Kapelle ergibt sich, dass im gotischen Chorraum Balken aus dem Jahr 1310 und im späteren Erweiterungsbau Balken der Jahre 1382 und 1383 zur Verwendung kamen. Die Baunaht zwischen dem Chorraum und dem Kirchenschiff lässt sich an den beiden Seitenwänden deutlich erkennen. Die spätmittelalterliche Ausmalung des Kirchenraums ist heute zugeputzt. Die Empore stammt aus dem Jahr 1606. Ein beeindruckendes Kruzifix aus der Erstausstattung der St.-Jost-Kapelle, wird im Universitätsmuseum im Landgrafenschloss aufbewahrt.
Im Jahr 1955/56, nachdem die St.-Jost-Kapelle an die Universitätskirchengemeinde übergegangen war, ließ sie Pfarrer Walter Lotz (1909–1987) renovieren und von dem Künstler Helmuth Uhrig einen neuen Altar-Kruzifix anfertigen. Im Jahr 1997 erhielt St. Jost eine neue Orgel, die nach historischen Vorbildern von dem ostfriesischen Orgelbaumeister Martin ter Haseborg gebaut wurde.
Haseborg-Orgel von 1997
Die Orgel der St.-Jost-Kapelle besitzt folgende Disposition:
I. Clavier (C‑g”’) | II. Clavier (C‑g”’) | Pedal (C‑f’) |
Rohrfloit 8‑vt | Gedackt 8‑vt | Pedalcoppel I |
Principal 4‑vt | Blockfloit 4‑vt | Pedalcoppel II |
Octav 2‑vt | Nasard 3‑vt | Manualschiebekoppel |
Terts 1 3/5‑vt | Modifizierte mitteltönige Temperatur |
Wolfgang Huber
> „Schweigender Dienst“ vor „Dem Heiligen“ in St. Jost
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