„Kein Friede zwischen den Nationen ohne Friede zwischen den Religionen!“, schrieb der katholische Theologe Hans Küng. Wo sonst als in Marburg leben Menschen so vieler Nationen und Religionen in einer so kleinen Stadt zusammen? Warum also sollte man der weltumspannenden Vision vom Frieden zwischen den Religionen nicht ausgerechnet im Mikrokosmos der Stadt Marburg näher kommen können? So entstand am Marburger „Runden Tisch der Religionen“ die Idee zu einem Friedensweg durch die Stadt.
Wir Juden, Christen, Muslime, Buddhisten und Bahá’í trafen uns am 25. September in der Moschee am Marbacher Weg. Nachdem wir unsere Schuhe am Eingang ausgezogen hatten, bekamen wir dicht gedrängt auf dem Fußboden sitzend einen Eindruck davon, wie eng es in der ehemaligen Vier-Zimmer-Wohnung ist, wenn sich hier Menschen aus 40 Nationen zum Freitagsgebet versammeln. Deshalb auch plant die islamische Gemeinde einen größeren und repräsentativeren Moschee-Neubau bei St. Jost. Gepredigt wird übrigens in Deutsch, weil dies die einzige Sprache ist, die alle Marburger Muslime verstehen.
Mit etwa 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zogen wir auf unserem Friedensweg hinauf in die Oberstadt zum Rathaus, wo sich die Gemeinschaft der Bahá’í vorstellte, der jüngsten Offenbarungsreligion. Ihr Gründer war im 19. Jahrhundert der Perser Bahá’u’lláh, dessen Schriften die Bahá’í am höchsten schätzen. Sie finden die Wahrheit aber auch in den anderen Hochreligionen, so dass sie bei ihren Zusammenkünften auch Texte aus der Bibel, dem Koran und buddhistischen Schriften lesen.
In der Universitätskirche, nur einen kurzen Fußweg vom Rathaus entfernt, erhielten wir eine Einführung in die lange christliche, überkonfessionelle Geschichte der Kirche, deren Bau Ende des 13. Jahrhunderts begonnen wurde. Nach dem gemeinsam gesungenen Lied „Dona nobis pacem“ („Gib uns den Frieden“) und einer Meditation von Prof. Hans-Martin Barth über das wichtigste Gebet der Christenheit, dem ursprünglich jüdischen „Vater unser“, stärkten wir uns mit Wasser, Saft, Brot und anderem Gebäck für unseren weiteren Weg durch die Stadt.
Es ging weiter über die Lahn nach Weidenhausen ins Shambhala-Zentrum. Hier werden verschiedene tibetische, aber auch japanische buddhistische Traditionen gepflegt. Leiter der weltweiten, etwa 30.000 Anhänger zählenden Gemeinschaft der Shambhala-Buddhisten ist der Inder Sakyong Mipham Rinpoche. Auf besonderen Kissen oder auf Stühlen sitzend rezitierten wir zu Trommelschlägen ein Sutra in deutscher Sprache, die tägliche Übung der Marburger Shambhala-Buddhisten.
Zum Abschluss unseres Friedensweges zogen wir zur Synagoge im Südviertel. In dem großen, hellen und sehr kunstvoll ausgestaltetem Versammlungsraum lauschten wir biblischen Texten und Gesängen in hebräischer Sprache und erfuhren viel über das Marburger Judentum. Die Gemeinde hat etwa 350 Mitglieder, betreut aber insgesamt über 500 Menschen, zumeist aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Da die Juden zur Zeit Sukkot, das Laubhüttenfest feierten, fand der dreieinhalb-stündige Friedensweg seinen Abschluss bei fröhlichem Zusammensein in der Laubhütte auf dem Hof der Synagoge.
Mit Freude und Stolz können wir behaupten, dass wir der weltumspannenden Vision vom Frieden der Religionen und Nationen ein Stück näher gekommen sind. Sie fängt mit guter Nachbarschaft vor unserer Haustür in Marburg an.
Jörg Rustmeier
→ Orientbrücke Marburg e.V. – Islamische Gemeinde
→ Die Bahá’í Gemeinde Marburg
→ Shambhala Marburg (Buddhistisches Zentrum)
→ Jüdische Gemeinde Marburg