Vater unser, arabisch (Paternosterkirche, Ölberg/Jerusalem)
Vater unser, ewiger Gott,
Du väterliche Kraft und Energie, Du Vater unseres Herrn Jesu Christi, Du Vater über alles, was Kinder heißt, Du, der Du alle unsere Vorstellungskraft übersteigst, Du unendliche Quelle, von der Licht und Kraft ausgeht – (wenn ich allein diese Anrede für mich und zu mir sprechen lassen könnte, bräuchte ich im Grunde gar nicht weiter zu beten …) …
Geheiligt werde Dein Name! Mir geht es immer zuallererst um meinen Namen, um meine Belange oder allenfalls die Namen von Verwandten und Freunden – jetzt aber stelle ich das alles zurück, und versuche, mir Deinen Namen zu vergegenwärtigen, Deine vielen Namen, die Namen, die Menschen in aller Welt Dir geben, die 99 schönsten Namen, und vor allem den Namen, den Du Dir selber gibst, Du Gott Israels, Du Gott, dessen Namen wir im Leben, Lehren und Leiden Jesu Christi erspüren, geheiligt werde Dein Name auch von mir, der ich hier sitze oder stehe, inmitten all der Namen, die mich anspringen – Dein Name, großer Gott, hilf, dass er mir wirklich etwas gilt, dass auch ich ihn heiligen darf …
Dein Reich komme, Deine Herrschaft, sie komme über mich, meinen Alltag, meine Familie, unsere Stadt! Deine Herrschaft der Liebe und des Friedens, ich flehe Dich an, lass sie nach Afghanistan kommen, in den Irak, den Vorderen Orient, setz Dich doch durch – wo bleibt denn Dein Reich! Aber segne alle Menschen, in denen etwas von Deinem Reich sichtbar wird, die Pflegekräfte in unseren Kliniken, die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Marburger Tafel, die Ärzte und technischen Helfer in aller Welt – und Dank, dass Du uns nicht ersticken lässt zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen, sondern dass es Menschen gibt, die sich nach Dir und Deinem Reich sehnen …
Dein Wille geschehe, wo geschieht er heute, geschieht er bei mir, wo könnte, wo müsste er geschehen? Was ist überhaupt Dein Wille? Wie soll ich das Schicksal meiner Bekannten und Freunde mit Deinem Willen in Zusammenhang bringen? Was will überhaupt mein eigener Wille? Nimm doch meinen Willen in Deine Hand, dass ich will, was Du willst, Du im Himmel, lass ein bisschen Himmel werden bei uns auf Erden, lass den Himmel Deines Willens aufgehen auch über mir, über den Menschen, die mir jetzt in den Sinn kommen …
Unser tägliches Brot gib uns heute! Du gibst mir tägliches Brot, indem ich jetzt hier sitze, ein paar Minuten Zeit habe, mich auf Dich und auf mich selbst zu besinnen. Dank! Und Du gibst mir täglich Brot, ich kann heute in Marburg herumlaufen, kann einkaufen, kann planen, vielleicht treffe ich Bekannte. Ich will auch die Bettler auf der Universitätsstraße nicht übersehen, mindestens einer soll heute etwas von mir haben, ein bisschen Geld, ein paar gute Worte – lass Dein Reich kommen, heilige Deinen Namen!
Und vergib uns unsere Schuld, Du vergibst mir, bring auch mir bei, zu vergeben, und führe mich nicht in Versuchung, hilf mir standhalten, führe mich und meine Angehörigen nicht in die Versuchung von falschen Zielen, von Depression, lass wieder Strukturen in unserer Gesellschaft entstehen, die Halt bieten, statt in den Abgrund zu schleudern. Und erlöse uns von dem Bösen! Von dem Bösen, das in uns ist, das ich in mir spüre, setz dem Bösen Grenzen!
Denn Du hast die Kraft dazu, auf Dich läuft alles hinaus. Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit – und die Liebe! – in Ewigkeit!
So ist es, so soll es sein, so wird es sein – Amen!
Text von Hans-Martin Barth aus Anlass des Marburger Friedenswegs der Religionen am 25.9.2010