Michael Wassiljewitsch Lomonossows Aufenthaltsorte in Marburg

Michael Wassiljewitsch Lomonossows Aufenthaltsorte in Marburg

Wil­helm A. Eckardt hat das Ver­dienst, in sei­nen bei­den Bei­trä­gen Chris­ti­an Wolff und die hes­si­schen Uni­ver­si­tä­ten (Mar­burg o.J.) und Lomo­nossow in Mar­burg (Mit­tei­lun­gen des Hes­si­schen Geschichts­ver­eins 1991 Neue Fol­ge Nr. 22) den Auf­ent­halts­or­ten des rus­si­schen Uni­ver­sal­ge­lehr­ten in Mar­burg nach­ge­gan­gen zu sein. Er kommt dabei zu fol­gen­dem Ergebnis:

Am 17. Novem­ber 1736 wur­de Lomo­nossow in Mar­burg imma­tri­ku­liert. Sein älte­rer Freund und spä­te­rer Peters­bur­ger Kol­le­ge Pro­fes­sor Jakob von Stäh­lin (1709–1785) berich­tet, Lomo­nossow habe bei der Wit­we des Mar­bur­ger Bür­gers Hein­rich Zielch und deren Kin­dern gewohnt. Hein­rich Zielch war ein ziem­lich wohl­ha­ben­der Mar­bur­ger Bier­brau­er und war bereits drei Jah­re tot, als Lomo­nossow nach Mar­burg kam. Einer Toch­ter der Wit­we Zielch, Eli­sa­beth Chris­ti­ne, wur­de 1739 eine unehe­li­che Toch­ter Katha­ri­na Eli­sa­beth gebo­ren, die Lomo­nossow durch spä­te­re Hei­rat legi­ti­mier­te. Doch wo ist die Stu­den­ten­woh­nung Lomo­nossows bei der Wit­we Zielch gewesen?

Man hat lan­ge Zeit ange­nom­men, dass es das statt­li­che Haus Bar­fü­ßer­stra­ße 47 (Haus Arcu­la­ri­us) gewe­sen sein müs­se, wo 1772 ein Akzi­se­schrei­ber Leut­nant Johan­nes Zielch als Bewoh­ner genannt wur­de. Ihn hat Kurt Stahr in sei­nem Mar­bur­ger Sip­pen­buch (Bd. 23 Nr. 37732 und 37735) mit dem Bru­der der Eli­sa­beth Chris­ti­ne Lomo­nossow geb. Zielch iden­ti­fi­ziert. Doch der Akzi­se­schrei­ber starb in Mar­burg am 25. Juli 1784 im Alter von 64 Jah­ren. Er muss also im Jah­re 1720 gebo­ren sein. Doch Lomo­nossows Schwa­ger, der Bru­der Eli­sa­beths Chris­ti­nes geb. Zielch, ist bereits am 21. Okto­ber 1714 gebo­ren wor­den. Außer­dem stammt der Leut­nant und Regi­ments­quar­tier­meis­ter im Husa­ren­corps Johan­nes Zielch nach den Anci­e­ni­täts­lis­ten von 1764 nicht aus Mar­burg, son­dern ist ein Schul­meis­ter­sohn aus Mühl­bach. So kommt das Haus Arcu­la­ri­us an der Bar­fü­ßer­stra­ße als Stu­den­ten­woh­nung Lomo­nossows nicht in Frage.

Das Ver­zeich­nis der Mar­bur­ger Bür­ger und Bei­sas­sen (Mie­ter), das um das Jahr 1720 ange­legt wur­de und sich im Stadt­ar­chiv befin­det, nennt für das heu­ti­ge Anwe­sen Bar­fü­ßer­stra­ße 35 als Haus­be­sit­zer einen Regis­tra­tor Abel und als Bei­sas­sen in sei­nem Hin­ter­haus Wen­del­gas­se 2 Hein­rich Zielch, des­sen Schwä­ge­rin Maria Segel­in, sowie Ser­g­an­tin Rezin und einen Andre­as Jung. Von 1726–1729 zahl­te Öko­nom Abel Grund­steu­ern für sei­ne Anwe­sen an der Bar­fü­ßer­stra­ße, in der Wen­del­gas­se, am Rüben­stein und in der Krebs­gas­se. Sei­ne Wit­we setz­te die Zah­lun­gen von 1730 bis 1744 fort, von 1745 bis 1765 war es der Öko­nom Schef­fer, von 1766 für ein Jahr die Wit­we Schef­fer, von 1767 bis 1772 war es Ober­vogt Schmidt, wäh­rend das Num­mern­buch von 1770/71 für das Anwe­sen Wen­del­gas­se 2 immer noch 1776 Schef­fer als Eigen­tü­mer nennt.

Das Haus Wen­del­gas­se 2 mit Gedenk­ta­fel heu­te (Fotos: Wikipedia)

1741 ist Lomo­nossow nach Russ­land zurück­ge­ru­fen wor­den. Er hat­te am 6. Juni 1740 Eli­sa­beth Chris­ti­ne Zielch gehei­ra­tet. Die jun­ge Ehe­frau blieb mit ihrem Bru­der Johann in Mar­burg bis zum Tode ihrer Mut­ter Katha­ri­na Eli­sa­beth Zielch. Nach den Mar­bur­ger Käm­me­rei­rech­nun­gen hat die Wit­we Hein­rich Zielchs bis 1745 ½ Pfund Bür­ger­schil­ling gezahlt, 1747 und 1748 taten es ihre Kin­der, danach sind kei­ne Zah­lun­gen mehr ver­merkt. Frau Eli­sa­beth Lomo­nossow und ihr Bru­der Johan­nes Zielch müs­sen also 1748 Mar­burg ver­las­sen haben. Eine Ein­tra­gung des Todes von Wit­we Katha­ri­na Zielch fin­det sich in den Mar­bur­ger Ster­be­re­gis­tern nicht.

Lomo­nossow hat in Mar­burg im Hau­se sei­nes Leh­rers Chris­ti­an Wolff ver­kehrt, dort Vor­le­sun­gen gehört und ist dort zu Mit­tag ver­kös­tigt wor­den. Eine Mar­mor­ta­fel am reprä­sen­ta­ti­ven Eck­haus Markt­gas­se 17 weist aus: Chris­ti­an Wolff / Prof. d. Phi­los. / 1723–1740. Zur 350-Jahr­fei­er der Uni­ver­si­tät hat das Jubi­lä­ums­ko­mi­tee beschlos­sen, Gedenk­ta­feln an die Wohn­häu­ser berühm­ter Ver­tre­ter der Uni­ver­si­tät anbrin­gen zu las­sen. Der Alt­phi­lo­lo­ge und Lei­ter der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Juli­us Cae­sar wur­de mit der Durch­füh­rung der Akti­on betraut, aber in den Akten fin­det sich kei­ne Begrün­dung, war­um Markt­gas­se 17 Wolffs Woh­nung gewe­sen sein soll.

Dabei ist die Besitz­ge­schich­te des Anwe­sens Markt­gas­se 17 gut bekannt. Am 19. April 1692 kauf­te Bern­hard Wil­helm Rie­men­schnei­der (1671–1709) das Haus von den Erben des Pro­fes­sors Dr. jur. Her­mann Vul­te­jus für 13.000 Reichs­ta­ler. Die Gedenk­ta­fel für Vul­te­jus befin­det sich eben­falls an dem Haus. Nach sei­nem Tod kam das Haus in den Besitz sei­ner Wit­we und dann sei­nes Soh­nes Hein­rich Anton Rie­men­schnei­der (1699–1772). Hier kann Wolff mit Sicher­heit nicht gewohnt haben, denn 1730 bat der Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­dent Johann Kas­par von Dörn­berg Pro­fes­sor Wolff, sei­nen Sohn bei sich auf­zu­neh­men. Doch Wolff ant­wor­te­te am 4. Mai, dass er den jun­gen Herrn ger­ne in sei­ne Tisch­ge­mein­schaft auf­neh­me, aber in sei­nem Hau­se kön­ne er ihn wegen Platz­man­gel nicht unter­brin­gen. Er wol­le sich aber um ein Quar­tier bemü­hen. Am 21. Mai 1730 konn­te er ver­mel­den, dass der jun­ge Herr von Dörn­berg und sein Hof­meis­ter bey dem jun­gen Riem­schnei­der in Marckt-Stra­ße unter­kom­men könnte.

Vom 14. bis 17. Sep­tem­ber 1731 besuch­te Land­graf Fried­rich I. von Hes­sen-Kas­sel, gleich­zei­tig König von Schwe­den, die Uni­ver­si­täts­stadt Mar­burg. Die Stadt wur­de zu die­sem Anlass fest­lich illu­mi­niert. Die Fei­er­lich­kei­ten und damit auch die fest­li­che Beleuch­tung der Stadt sind in der Bro­schü­re Aus­führ­lich Beschrei­bung der Solem­ni­tä­ten bey höchst beglück­ter Ankunfft Sr. König­li­chen Majes­tät in Schwe­den nach Mar­burg. Mar­burg 1731 genau geschil­dert. Dar­in ist beson­ders die Illu­mi­na­ti­on von Wolffs Haus her­vor­ge­ho­ben. An der Haupt­front des Hau­ses gegen das Schloss hin befand sich eine Inschrift mit gold­gel­ben Buch­sta­ben auf rotem Grund, das die gan­ze Illu­mi­na­ti­on erklärt, ein­ge­rahmt von sie­ben bild­li­chen Dar­stel­lun­gen. In Rich­tung Markt waren die Weis­heit und Lie­be bild­lich dar­ge­stellt. Die Front zum Markt hin war offen­bar schma­ler als die gegen das Schloss. Im Sei­ten­ge­bäu­de, so heißt es wei­ter, hät­ten die bei­den klei­nen Söh­ne Wolffs Fer­di­nand und Chris­ti­an Trans­pa­ren­te mit Bil­dern aus der Mytho­lo­gie hin­ter den Glas­schei­ben ihrer Stu­ben­fens­ter ange­bracht, die von Fach­leu­ten mit Öl durch­sich­tig gemacht, wie Trans­pa­ren­te gegen das Licht wirken.

Das Haus Markt­gas­se 17 hat kei­ne Front hin zum Schloss und hin zum Markt. Als Wohn­haus von Pro­fes­sor Wolff galt auch lan­ge Zeit das gro­ße Haus Markt 22 am Obermarkt/Ecke Rit­ter­stra­ße, das 1737 dem Rats­schöf­fen und Pas­te­ten­bä­cker Kon­rad Geiß­ler gehör­te. Doch die­ses Haus hat kei­ne Sei­ten­ge­bäu­de. Kon­rad Geiß­ler hat 1739 vier Albus Zins zah­len müs­sen von Her­aus­rü­ckung der Mau­er unter sei­nem neun Hauß. Hät­te Wolff dort gewohnt, wäre wohl kein neu­es Gebäu­de errich­tet worden.

In den Gebäu­den Markt 23 (Bild­mit­te rechts) und Markt 24 (links) wohn­te ver­mut­lich Pro­fes­sor Chris­ti­an Wolff. Das ver­wahr­los­te Neben­ge­bäu­de wur­de 1957 abge­ris­sen. (Foto: Küch/Niemeyer, Die Bau- und Kunst­denk­mä­ler im Regie­rungs­be­zirk Kas­sel, Band 8. Kas­sel 1934)

Die rich­ti­ge Lage mit vier Fens­tern je Stock­werk in der Haupt­front in Rich­tung Schloss­trep­pe und zwei Fens­tern je Stock­werk im vor­sprin­gen­den Teil in Rich­tung Markt hat das Anwe­sen Markt 23, das heu­te die Brü­der-Grimm-Stu­ben beher­bergt, Das Nach­bar­haus Markt 24 gehör­te zu Wolffs Zei­ten als Neben­ge­bäu­de dazu. Es wur­de 1957 abge­bro­chen. Unter die­sem Haus hat man vor Jah­ren die Grund­mau­ern der mit­tel­al­ter­li­chen Syn­ago­ge ent­deckt und der Öffent­lich­keit unter einem Glas­wür­fel zugäng­lich gemacht.

Zu Wolffs Zei­ten gehör­ten bei­de Häu­ser Ober­leut­nant Bene­dict v. Düring. Der hat­te in das Gut Frie­del­hau­sen bei Gie­ßen ein­ge­hei­ra­tet und wohn­te auch dort mit sei­ner Fami­lie. So stan­den sei­ne Mar­bur­ger Häu­ser leer und konn­ten ver­mie­tet wer­den. Dort dürf­te Pro­fes­sor Chris­ti­an Wolff zur Mie­te gewohnt haben, und dort wird auch Micha­el Was­sil­je­witsch Lomo­nossow ein- und aus­ge­gan­gen sein.

Fried­rich Dickmann

 

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