Fensterseite der Kreuzkapelle mit Gedenktafel (Fotos: Jörg Rustmeier)
Der Stiftung der „Evangelischen Michaelsbruderschaft” 1931 vorausgegangen waren in den turbulenten zwanziger Jahren nach dem Ende des Staatskirchentums in Deutschland die „Berneuchener Konferenzen“ in der Mark Brandenburg, auf denen Menschen aus vielen Berufsgruppen – unter ihnen der junge Paul Tillich – über die Zukunft der Kirche diskutierten. Viele von ihnen gehörten zur damaligen Jugendbewegung. 1926 erschien das zusammenfassende „Berneuchener Buch“, maßgeblich verfasst von dem gerade von Berlin nach Marburg gekommenen Karl Bernhard Ritter, unterzeichnet u.a. von Paul Tillich und vom damaligen Marburger Landrat Ernst Schwebel. Es war eine Fundamentalkritik am damaligen Zustand der Kirchen.
Gedenktafel in der Kreuzkapelle der Universitätskirche:
„In dieser Kapelle wurde am 1. Oktober 1931 die EVANGELISCHE MICHEAELSBRUDERSCHAFT gestiftet. Die Stifter waren Konrad Ameln, Paul Demke, Ludwig Dieterle, August de Haas, Henning Hahn, Gustav Hammerschmidt, Carl Happich, Hans Harmsen, Ludwig Heitmann, Gerhard Langmaack, Hermann Lutze, Oskar Planck, Karl Bernhard Ritter, Nathanael Rösler, Ernst Schwebel, Theodor von Sicard, Wilhelm Stählin, Walter Stökl, Wilhelm Thomas, Curt Vangerow, Karl Vötterle, Kurt Zeuschner.“
Zu Michaelis (am 29. September) 1931 trafen sich in der Universitätskirche in Marburg 22 Männer – Theologen, Politiker, Architekten, Juristen, Mediziner – und stifteten die Evangelische Michaelsbruderschaft.
„Die zweiundzwanzig Männer, die 1931 die Michaelsbruderschaft stifteten, hatten erkannt, dass es nicht genügt, über Erneuerung der Kirche zu diskutieren, sondern dass die Erneuerung zunächst und vor allem praktiziert werden muss; nicht im unverbindlichen Nebeneinander von Diskussionsteilnehmern, sondern im verpflichtenden Miteinander christlicher Bruderschaft.“ (Zimmermann: Vierzig Jahre Evangelische Michaelsbruderschaft, in: Quatember 1971).
Altar in der Kreuzkapelle
Die Bruderschaft breitete sich schnell über Deutschland, Österreich, Schweiz, das Elsass aus. Über die Nationalsozialisten wurde heftig und kontrovers diskutiert. Viele Brüder gehörten zur Bekennenden Kirche. Karl Bernhard Ritter, Walter Lotz und Kurt Reuber hatten mit ständigen Anfeindungen zu kämpfen. Letzterer, der spätere Schöpfer der „Stalingradmadonna“, war bei Ritter Vikar gewesen und ein Freund Albert Schweitzers. Was die Brüder zusammenhielt, war der gemeinsame Gottesdienst und das gemeinsame Gebet der Tageszeiten.
Der an der jahrhundertealten liturgischen Tradition der Kirche orientierte Gottesdienst als Evangelische Messe und Gebet der Tageszeiten erwies sich im Laufe der Jahrzehnte als das Herzstück des bruderschaftlichen Lebens und hatte starken Einfluss auf die liturgische Entwicklung in der Evangelischen Kirche.
Das Zentrum der Evangelischen Michaelsbruderschaft und der mit ihr verbundenen Berneuchener Gemeinschaften ist seit 1957 das Einkehrhaus Kloster Kirchberg bei Horb am Neckar.
Willi Zimmermann