Bereitet dem Herrn den Weg“ (Jesaja 40,3) — 3. Advent

(Foto von Rolf K. Wegst)

Vor zwei Wochen war ich dabei, als die jüdi­sche Gemein­de eine neue Torahrol­le in Gebrauch nahm. Auf­merk­sam saß die Fest­ge­sell­schaft im Land­gra­fen­saal des Staats­ar­chivs und ver­folg­te, wie die letz­ten Wor­te in die neue Schrift­rol­le ein­ge­tra­gen wur­den. Mit einem frisch geschnit­te­nen Gän­se­kiel trug der Schrei­ber das Gemisch aus Was­ser, Asche und Oli­ven­öl auf das Per­ga­ment­blatt auf, sorg­fäl­tig dar­auf bedacht, kei­nen Feh­ler oder einen Fleck zu hin­ter­las­sen. Dann wäre die wert­vol­le Rol­le nicht mehr koscher gewesen.In einem fröh­li­chen Zug tru­gen dann die jüdi­schen Gemein­de­mit­glie­der und die Rab­bi­ner die neue Torahrol­le unter einem Bal­da­chin durch die Lie­big­stra­ße zur Syn­ago­ge. Immer wie­der gaben sie sie sich unter­ein­an­der wei­ter, san­gen und tanz­ten dazu. Ich bekam den Ein­druck, als hand­le es sich hier um ein leben­di­ges Wesen und hat­te plötz­lich das Bild von einem neu­ge­bo­re­nen Kind vor mir. Und die­ses Bild wur­de noch ver­stärkt, als wir vor der Syn­ago­ge anka­men. Dann lie­fen näm­lich eini­ge Män­ner hin­ein, hol­ten die alten Torahrol­len aus dem Schrank und gin­gen damit der neu­en Rol­le zur Begrü­ßung ent­ge­gen. Es war eine gro­ße Freu­de unter der Fest­ver­samm­lung – so, als wür­de ein lang erwar­te­ter Gast end­lich ankom­men. Und ich frag­te mich, war­um ich nicht auch so einen leben­di­gen Umgang mit mei­ner Bibel habe. Dem Wort Got­tes begeg­ne ich oft nur als einem Text zwi­schen zwei Buch­de­ckeln, über den ich mir dann den Kopf zer­bre­chen muss. Den­ken in Bän­ken, anstatt durch eine befrei­en­de Ermu­ti­gung in Bewe­gung zu kom­men. Nichts gegen das Den­ken, aber wie wäre es, wenn es im Zusam­men­hang mit der fro­hen Bot­schaft durch eine fest­li­che Freu­de, durch Tan­zen und Sin­gen geweckt würde.

Und doch bin ich gera­de des­halb froh, dass mich die jüdi­sche Gemein­de an ihrem leben­di­gen Umgang mit dem Wort Got­tes teil­neh­men lässt – an die­ser spru­deln­den Begeis­te­rung und der befrei­en­den Hei­ter­keit. Wird hier doch deut­lich, dass das War­ten auf die Ankunft Got­tes in die­ser Welt vor allem Freu­de aus­löst. Die Lust an der Torah steht im Mit­tel­punkt und nicht die Sor­ge, etwas falsch zu machen. Denn man miss­ver­steht die Torah, wenn man meint, dass es sich hier nur um eine Ansamm­lung von Ver­bo­ten han­delt. Sie ist viel­mehr eine Weg­wei­sung und ein Tor zur Frei­heit. Sie zeigt uns, dass wir in allem ernst­haf­ten Bemü­hen, uns an Got­tes Wort zu hal­ten, doch allein auf sei­ne Gna­de ange­wie­sen sind.

Stel­len Sie sich vor, es käme auf dem Berg Sinai zu fol­gen­dem Dialog:
Gott: „… und beden­ke, Moses, Koche nie das Böck­lein in der Milch sei­ner Mut­ter. Das ist ein Greuel.”
Moses: „Ohhhh! Du sagst also, man soll mil­chig und flei­schig nie zusam­men essen?”
Gott: ” Nein, was ich sage, ist, dass man das Böck­lein nie in der Milch sei­ner Mut­ter kochen darf.”
Moses: „Oh, Herr ver­ge­be mir mei­ne Igno­ranz. Du sagst, dass wir sechs Stun­den nach dem Genuss von Fleisch war­ten sol­len, bis wir mil­chig essen, damit bei­des nicht gleich­zei­tig im Magen ist?”
Gott: „Nein, Moses, hör mir zu. Ich sage, koche nie­mals das Böck­lein in der Milch sei­ner Mutter.”
Moses: „Oh, Herr. Bit­te rich­te mich nicht für mei­ne Dumm­heit. Du meinst, wir sol­len sepa­ra­tes Geschirr für Mil­chi­ges und Flei­schi­ges haben? Und wenn wir einen Feh­ler machen, sol­len wir das Geschirr drau­ßen verbrennen?”
Gott: „Mach was du willst, Moses …”

Diet­rich Han­nes Eibach

 

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