Zur Baugeschichte
Auf einem Felsen über der Lahn errichteten die Dominikaner in den Jahren 1291 bis 1300 ihre Klostergebäude und eine gotische Hallenkirche. Das Gelände war dem Orden vom ersten hessischen Landgrafen Heinrich I., einem Enkel der heiligen Elisabeth, geschenkt worden. Die Mönche wählten Johannes den Täufer zum Namenspatron ihrer Kirche. Der „Wegbereiter des Herrn“ und „Rufer in der Wüste“ galt als das geistliche Vorbild der Dominikaner.
Als 1526 der hessische Landgraf Philipp der Großmütige die Reformation in seinem Lande einführte, mussten die Dominikaner ihr Kloster verlassen. 1527 gründete Landgraf Philipp die nach ihm benannte Universität in Marburg; sie ist die älteste, noch bestehende protestantische Universität der Welt. Als Unterrichtsräume bekam die Philipps-Universität die ehemaligen Klostergebäude zugewiesen.
Dominikaner überlassen ihr Kloster der Universität, Wandgemälde in der Alten Aula von Peter Janssen, 1891
Nach dem Einmarsch der preußischen Truppen nach Kurhessen 1866 beschloss der preußische Landtag den Neubau eines repräsentativen Universitätsgebäudes. Nach Plänen des Architekten Carl Schäfer entstand im neugotischen Stil von 1873 bis 1891 die „Alte Universität“. Von der alten Klosteranlage blieb nur die Kirche erhalten.
Der ursprüngliche Bauplan für die Kirche ist wahrscheinlich nie vollendet worden. Ob dabei daran gedacht wurde, an den hochragenden Chor eine dreischiffige und ebenso hohe Halle anzuschließen, lässt sich heute nicht mehr klären. Es blieb ein zweigeteiltes Kirchenschiff mit einer flachen Holzdecke erhalten.
Nach der Universitätsgründung hatte erst einmal niemand mehr für die Kirche eine angemessene Verwendung. Sie wurde vernachlässigt und schließlich als Kornspeicher eingerichtet. Auf diese Nutzung weist heute noch der Name des Platzes „Kornmarkt“ nördlich der Kirche hin. An dieser Stelle war ursprünglich der Friedhof des Klosters. 1653 weihte Landgraf Wilhelm VI. von Hessen-Kassel das Gebäude als evangelische Universitätskirche wieder ein und übergab sie der immer größer werdenden reformierten Gemeinde in der Stadt.
Aus jener Zeit stammen die Barockkanzel und das Gewände des Taufbeckens. Auch der Altar ist wohl damals aufgestellt worden.
Zur Innenraumgestaltung
Die heutige Farbgebung und Raumgestaltung der Kirche geht auf eine große Innenrenovierung anlässlich der Vierhundertjahrfeier der Philipps-Universität im Jahre 1927 zurück. Die flache Holzdecke wurde aus dem Kirchenschiff entfernt und durch eine spitz gewölbte Kassettendecke in dunklem Rot und Grau ersetzt. Dieselben Farbtöne zeigen auch die Emporen. Grautöne bestimmen auch den Anstrich der gedrungenen Säulen am Seitenschiff und der Bänke. Dunkel und gedrückt wirkt das Kirchenschiff. Dahinter steht ein theologisches Programm: Im Dunkel der Welt sammelt sich die christliche Gemeinde und schaut auf das aufgehende Licht, das ihr aus dem hohen Chor mit seinen lang gestreckten dreigliedrigen Fenstern entgegen leuchtet. Die Lichtwirkung wird noch verstärkt durch das Weiß der Wände, die lediglich durch das Grau und Gold der Gewölberippen und Fensternischen aufgelockert und gegliedert werden.
Lichtverstärkend wirkt auch das Silber der Pfeifen des eigenwilligen, im Jugendstil gestalteten, turmartigen Orgelprospektes, der an die geöffneten Schwingen eines Engels und an die Harfen der himmlischen Musik erinnert. Das Instrument zählt nach der Renovierung im Jahr 2009 mit 54 Registern zu den größten und klangvollsten Orgeln im Marburger Raum.
Der hohe Chor steht schon für das himmlische Jerusalem — dem Ort der Erlösung, an dem der ewige Lobpreis erklingt. Darüber steht nur noch Christus — abgebildet im Gewölbe-Schlussstein über der Orgel. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden“ (Markus 12,10)
Auf der Westseite findet sich an der Stelle, wo die letzte Arkade in die Wand übergeht, eine Maskenkonsole mit einer Dämonenfratze. Mit ausgestreckter Zunge schaut sie aus dem verborgenen Winkel zum Ostchor hinüber und repräsentiert im Rahmen des mittelalterlichen Bildprogramms die unerlöste Welt gegenüber der Verheißung des himmlischen Jerusalem.
Zu den einzelnen Kunstwerken
Zwischen Schiff und Chor, gleichsam zwischen irdischem Dunkel und himmlischem Licht, ist das goldene hochragende Kreuz aufgerichtet. Statt des Gekreuzigten findet sich darauf in der Mitte in einem Kreis eine stilisierte Rosenblüte — ein Symbol für die Königsherrschaft Christi. Darauf konzentriert sich der Blick und weitet sich dann in den Chor hinein. So lässt die Konzeption der Innenraumgestaltung von 1927 sichtbar werden, was in dem Wort aus dem Johannesevangelium gesagt ist: „Jesus Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch mich“(14,6).
Der vergoldete Lettner über dem Altar wurde ein Jahr später von dem Bildhauer Wilhelm Lemcke aus Lindenholz geschnitten. Jeweils vier Episoden aus dem Evangelium sind auf beiden Seiten des Hochkreuzes dargestellt: links die Ankündigung der Geburt Jesu, seine Geburt, seine Taufe im Jordan und sein inneres Ringen im Garten Gethsemane. Rechts von dem Kreuz sehen wir die Grablegung Jesu, seine Auferstehung, seine Begegnung mit den Emmaus-Jüngern und schließlich die Ausgießung des Heiligen Geistes. So wird das ganze Evangelium von seiner lebendigen und bleibenden Wirklichkeit für seine Gemeinde sichtbar. Weinstöcke umranken die einzelnen Szenen. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Johannes 15,5)
Über den Türen zu den Sakristeiräumen sind der Siebenarmige Leuchter und das Christus-Monogramm abgebildet. Sie stehen gleichberechtigt nebeneinander. Gott hat den einen Bund mit seinem Volk geschlossen. Durch Christus kommen aber auf der anderen Seite auch die hinzu, die an ihn glauben.
Das Altarkreuz ist ein Werk des Kunstschmiedes Prof. Rickert aus München. Die Weinranken der Lettnerbilder finden sich auf dem emaillierten Kreuz wieder. Sie sind ein Hinweis auf den Wein im Heiligen Abendmahl, das an diesem einfachen Altartisch jeden Donnerstag gefeiert wird. Die vier Evangelistensymbole auf vergoldeten rechteckigen Metallplatten umgeben den Gekreuzigten, der in der Mitte auf einer ovalen Scheibe im Gold des Ostermorgens schon im Lichtglanz der Auferstehung aufstrahlt. In die aus schlichtem Kupfer bestehende Rückseite des Kreuzes ist eingeritzt das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. In der Passionszeit wird diese, an Jesu Leiden erinnernde Seite der Gottesdienstgemeinde zugewendet.
Über dem Taufbecken befindet sich in einer Wandnische eine Darstellung des heiligen Christophorus. In der Uniform eines Soldaten, ausgemergelt und erschöpft, trägt er das Christkind durch die Wasser eines Sumpfes. Dieses Fresko wurde 1947 von Prof. Frank aus Marburg nach einer Skizze seines Freundes Francis Bantzer gemalt. Francis Bantzer hatte der Universitätskirche das Wandgemälde zu Beginn des 2. Weltkrieges gestiftet, konnte es allerdings nicht mehr ausführen, weil er als Soldat sein Leben verlor. Das Bild erinnert an jene, die in den Kriegszeiten und in ihrer Bedrängnis durch ihren Glauben gehalten wurden. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich befreit; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein. Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein.“ (Jesaja 43,1f.)
Von der Hand Wilhelm Lemckes stammen wie der Lettner auch die vier Delfine auf der Messingschale des Taufbeckens, die während der Taufhandlung Wasser speien, sowie die vier geflügelten Wesen der Evangelisten auf den Tafeln hoch oben an den Säulen zum Seitenschiff. Derselbe Künstler schnitzte auch den Pelikan mit seinen Jungen an der Brüstung der Südempore. Vom Pelikan glaubten die Menschen, er ernähre seine Jungen mit dem Blut und lasse es aus seiner Brust austreten, indem er sie sich mit dem Schnabel aufreiße. Deshalb galt der Pelikan lange Zeit als ein Sinnbild für das Hingabe Christi an die Seinen.
Das hölzerne Adlerpult im Altarraum für die gottesdienstlichen Lesungen stammt von Arnold Rickert aus Bielefeld, einem Bruder des Schöpfers des Altarkreuzes. Arnold Rickert entwarf auch das Mahnkreuz unter der Südempore; in dem darunter ausliegenden Gedenkbuch sind die Namen derer aus der Kirchengemeinde aufgeschrieben, die als Soldaten in den beiden Weltkriegen getötet wurden.
Zwischen Kanzel und Südempore steht ein zweiflügliger Weihnachtsaltar. 1954 schuf ihn der Künstler Helmuth Uhrig eigens für die Universitätskirche. Der Altar zeigt zwischen Maria und Josef das Kind in der Krippe. Das Weihnachtslicht über der Krippe besteht aus sieben Sternen, ein Hinweis auf die Offenbarung des Johannes, der den wiederkommenden Menschensohn mit sieben Sternen in der Hand schaute. Der Siebenstern über der Krippe macht deutlich: Das schutzlose Kind in der Krippe ist zugleich der Herrscher der Welt. Deshalb stehen die anbetenden Hirten und Könige als Vertreter der gesamten Menschheit unter dem Kind und schauen zu ihm empor. Die fünf Figurengruppen aus jeweils einem Holzblock sind so auf der Altarwand angeordnet, dass der zwischen ihnen freigelassene Raum den Umriss des Gekreuzigten erkennen lässt. In der Advents- und in der Fastenzeit sind die Flügel des Altares geschlossen. In der Zeit zwischen Weihnachten und Epiphanias steht der Weihnachtsaltar auf dem Altartisch. „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Johannes 1,14)
Die gesamte Ausstattung der Marburger Universitätskirche will bezeugen, was in großen Lettern auf dem Prospekt oben an der Orgel geschrieben steht:
SOLI DEO GLORIA! – GOTT ALLEIN DIE EHRE!
Text von Herbert A. Lippert; bearbeitet von Dietrich Hannes Eibach
(als Kirchenführer auf dem Schriftentisch in der Universitätskirche erhältlich)