Liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen, liebe Geschwister,
hiermit laden wir zu unserer nächsten öffentlichen und offenen Versammlung ein, wobei Letzteres bedeutet, dass uns alle, die sich für unsere Themen interessieren, willkommen sind, unabhängig davon, ob er oder sie einer christlichen Kirche oder der Partei der Linken angehört.
Am 12. Juni 2018 geht es ab 19.00 Uhr in Käte-Dinnebier-Saal (DGB, Bahnhofstraße 6) um ein eher wenig gelesenes Buch aus dem Alten Testament: Das Buch Ezechiel/Hesekiel. Auch weniger „bibelfesten“ Leser_nnen ist die darin enthaltene sehr konkret beschriebene Auferweckungsvision des Propheten (Ez 37) vielleicht bekannt.
Die Marburger Theologin Ruth Poser hat das Buch als Traumaliteratur gelesen und zum Thema ihrer Doktorarbeit gemacht. Sie versteht das Ezechielbuch als Auseinandersetzung mit den Schrecken der Kriegs- und Exilskatastrophe von 587 v.u.Z. und ist überzeugt, dass seine Lektüre einen (geschützten) Raum eröffnet, in dem erlittene und ausgeübte (Kriegs-)Gewalt und deren traumatisierende Folgen zur Sprache kommen und bearbeitet werden können. Ein drängendes Thema: immer noch und immer wieder z.B. für die „Enkelgeneration“ des II. Weltkrieges. Wenngleich in unterschiedlicher Weise leiden immer noch zahlreiche Menschen an beidem. Die Erfahrungen in deutschen Familien und im individuellen Leben lassen uns begreifen, welche schier unerträglichen seelischen (und körperlichen) Leiden in Syrien, in Israel und Palästina und auf zahlreichen Kriegsschauplätzen gegenwärtig angerichtet werden.
Doch das Buch Ezechiel erklärt, dass die Drohung mit den „sauren Trauben“ den Nachkommen nicht mehr „stumpfe Zähne“ verursachen soll. Alle sollen – und können – sich mit der eigenen Schuld auseinandersetzen (Ez 18). Würden die Menschen der auf die Schoa folgenden Generationen sich als Verantwortungsgemeinschaft statt als Täterkollektiv begreifen und jeder Art von psychischer und politischer Sippenhaft entsagen, für die Erlittenes (auch unbewusst) als Begründung dient – könnte dies ein Ausstieg aus dem Kreislauf der Gewalt sein, aus dem immer wieder Rachephantasien und neue Kriege entstehen?
Dass man den Text des Ezechielbuches so lesen und nutzen kann und darf, nämlich die darin von Gott gemachte Zusage auf psychisches Heilerwerden ernst- und anzunehmen, scheint angesichts entsetzlicher (und oft religiös überhöhter) Gewalt in den gegenwärtigen Kriegen überraschend bis ungerecht. Darüber wollen wir mit Ruth Poser debattieren.
Mit solidarischen Grüßen,
Theo Sperlea, Eva Gottschaldt und Rosemarie Barth