Professor Dietrich Stollberg in memoriam

Dietrich_StollbergIch lie­be mei­ne Kir­che. Ich fin­de sie uner­träg­lich. Ich gebe die Hoff­nung nicht auf.”

Am 4. Juni 2014 ist Diet­rich Stoll­berg in Fürth (bei Nürn­berg) gestor­ben. Im Werktags­gottesdienst der Universitäts­kirche am 5. Juni haben wir für ihn und sei­ne Ange­hö­ri­gen gebe­tet. In Gesprä­chen war zu spü­ren, wie ver­bun­den sich zahl­rei­che Freun­de und Freun­din­nen der „Evan­ge­lischen Mes­se” dem ehe­ma­li­gen Mar­bur­ger Uni­ver­si­täts­theo­lo­gen fühl­ten. Ich selbst habe ihn frei­lich nur über sei­ne pastoral­theo­logischen, homi­le­ti­schen und lit­ur­gi­schen Ver­öf­fent­li­chun­gen ken­nen­ge­lernt. An­ge­sprochen hat mich, dass Stoll­berg sich dar­in zu sei­ner spi­ri­tu­el­len Ver­wur­ze­lung in der evan­ge­­lisch-luthe­ri­­schen Lit­ur­gie be­kannt hat. Sei­ne Hei­mat war die wun­der­bar mit spät­go­ti­scher Kunst aus­ge­stat­te­te Stadt­kirche St. Mar­tin in Schwa­bach, an der Vater und Groß­va­ter als Orga­ni­sten und Kan­to­ren wirk­ten. Wer in einer sol­chen Kir­che auf­ge­wach­sen ist und von Mut­ter­lei­be an leben­dige, rei­che Lit­ur­gie er­lebt hat, der trägt in sich einen Schatz sein Leben lang. Das macht es aller­dings nicht un­be­dingt leich­ter, sich mit den Gege­ben­hei­ten der Gegen­wart abzu­fin­den. Dar­um for­mu­lier­te Diet­rich Stoll­berg schein­bar para­dox: „Ich lie­be mei­ne Kir­che. Ich fin­de sie uner­träg­lich. Ich gebe die Hoff­nung nicht auf.” So die Über­schrift der The­sen, die er bei einer Tagung anläss­lich sei­nes 70. Ge­burtstages im Jahr 2007 öffent­lich zur Dis­kus­si­on stell­te (Pfar­rer­blatt 2008, Heft 8; auch in: Pas­to­ral­theo­lo­gie 2007, S. 493–508).

Aus Lie­be zum Men­schen und zu sei­ner Kir­che enga­gier­te sich Stoll­berg als Leh­rer der Seel­sor­ge und der Lit­ur­gik, theo­lo­gisch und ganz prak­tisch, auch in den Got­tes­diens­ten der Uni­ver­sitätskirche. Er kri­ti­sier­te die ästhe­ti­sche „Ver­wahr­losung” der pro­tes­tan­ti­schen Gottesdienst­kultur, die er aller­orten wahr­nahm. Er litt an der gras­sie­ren­den „Predigt­monomanie” und sehn­te sich nach einer Litur­gie, die mit ihren eige­nen poe­tisch-musi­­ka­­li­­schen Mit­teln den gan­zen Men­schen, mit Leib und See­le und allen sei­nen Sin­nen exis­ten­zi­ell berührt und Halt gibt. Mit Posi­tio­nen wie die­sen pro­vozierte Stoll­berg. Er wag­te aber auch selbst den lei­den­schaft­li­chen Ein­satz und nahm dafür die Er­fah­rung von Schei­tern und Miss­erfolg in Kauf. Wenn er sich auch ganz prak­tisch für die „luthe­risch-reform­ka­tho­li­sche” Gottes­dienst­kultur ein­setzte, tat er das kei­nes­wegs naiv, als gin­ge es nur um die Pfle­ge schö­ner Tra­di­tio­nen. Dafür war er viel zu sehr wis­sen­schaft­li­cher Pastoral­psycho­loge, dem nichts Mensch­li­ches fremd war. Gera­de weil er die Gebro­chen­heit, die Abgründig­keit, die rätsel­haften Dimen­sio­nen mensch­licher Exis­tenz be­wusst ins Auge fass­te, setz­te sich Stoll­berg für die Gottes­dienstform der Evange­lischen Mes­se ein. Die stellt in sei­ner frän­ki­schen Hei­mat die Normal­form des Abendmahls­gottes­dienstes dar, wird aller­dings auch dort zumeist im pro­­testan­­tisch-schwar­­zen Talar gefei­ert, zu dem Stoll­berg mit der Zeit eine regel­rech­te Anti­pa­thie ent­wickel­te. Der in Erlan­gen und in den USA aus­ge­bildete Theo­loge und Psy­cho­lo­ge mach­te sich über die Lit­ur­gik hin­aus vor allem ver­dient als Pio­nier der Seel­sorge­bewegung in der Kir­che: Der Mensch soll­te sich nicht von Ängs­ten und unbe­wussten Ver­drän­gungs­mechanismen trei­ben las­sen, son­dern er­mutigt wer­den, in Kri­sen und Her­aus­for­de­run­gen die sich dar­in bie­ten­de Chan­ce wahr­zu­neh­men. Dazu konn­te — auch das lehr­te Stoll­berg — das Ge­spräch im Dia­log oder die Inter­ak­ti­on in der Grup­pe hel­fen, aber auch „erhe­ben­de” und in die­sem Sin­ne seel-sorg­li­che Got­tes­diens­te. In der Hoff­nung auf die Er­fah­rung sol­cher „geist­lich ausgerich­te­ter Anbetungs­gemeinschaft”, wie er sag­te, füh­len wir uns mit Diet­rich Stoll­berg wei­ter verbunden.

Wolf­gang Huber, Pfar­rer an der Universitätskirche

 

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