Gemischte Gefühle (Theatermaske in Ostia Antica, Foto: Jörg Rustmeier)
Die biblischen Texte stecken voll widersprüchlicher Gefühle wie das Leben selbst. Gott wird uns vorgestellt in Zorn und Eifersucht, Jammer und Liebe. Und ebenso vielfältig empfinden die Menschen – in ihren Beziehungen untereinander, aber auch in ihrer Gottesbeziehung. Die Verbindung zu Sinnlichkeit und Gefühl ist für die religiöse Rede unverzichtbar. Denn in dem sich theologische Aussagen mit Gefühlen verbinden, werden sie uns lebendig. Glaube, so Martin Luther, ist eine Sache des Herzens. Das Heilige, so Rudolf Otto, löst im Menschen allererst emotionale Reaktionen aus, ehe es eine sprachliche Deutung findet. Die Gottesdienstreihe folgt wesentlichen Gefühlserfahrungen nicht nur in der Predigt, sondern auch in kleinen Theaterszenen, die von Studierenden inszeniert werden, und in der Musik.
Der erste Gottesdienst in der neuen Reihe der Universitätsgottesdienste hat das Thema „Wut“. Er wird zum Semesterauftakt am Sonntag, dem 21. Oktober um 10.00 Uhr mit Abendmahl gefeiert. Die Predigt hält Prof. Dr. Karl Pinggéra. Musikalisch wird der Gottesdienst von Kantor Gerold Vorrath auf der Orgel gestaltet.
Den öffentlichen Friedensweg der Religionen veranstaltet der Runde Tisch der Religionen seit 2010. Er beginnt um 17.45 Uhr in der Moschee am Marbacher Weg und führt über das Rathaus, wo sich die Bahá’í-Gruppe vorstellt, über die evangelische Universitätskirche und das buddhistische Shambhala-Zentrum zur Synagoge in der Liebigstraße.
Wer an den in Marburg lebenden Religionsgemeinschaften Interesse hat, ist eingeladen, sich dem Weg anzuschließen. An allen Stationen wird es kurze Einführungen in den Ort und Textlesungen geben. Dies wird einen Eindruck von der Atmosphäre der jeweiligen Religion vermitteln. Auf dem gemeinsamen Weg können sich die Teilnehmenden über das Gesehene und Gehörte unterhalten und befragen. Dreieinhalb Stunden unterwegs zu sein, ist anstrengend, aber es bietet mehr Möglichkeiten als ein Vortragsprogramm: konkrete Erfahrungen, direkte Ansprechpartner, neue Kontakte.
Die Marburger Religionsgemeinschaften wollen deutlich machen, dass sie trotz aller verbleibenden Unterschiede ein gemeinsames Ziel haben: den äußeren und inneren Frieden, zu dem sie auf unterschiedliche Weise beitragen. Spirituell wach zu sein heißt, sich aufzumachen, Schritte zu wagen, gemeinsam und auf einander zu; es heißt, den Austausch zu suchen und Erkanntes in die Tat umzusetzen.
„Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ (Psalm 91,11) – Das ist der mit Abstand beliebteste Bibelspruch, den Eltern für ihre Kinder zur Taufe auswählen. Die Erzengel Michael, Gabriel und Raphael stehen nach kirchlicher Tradition für den Sieg Gottes über die Macht des Bösen. In der Michaelismesse wird dieser Sieg gefeiert. Herzliche Einladung!
Hans Memling (ca. 1433–1494): Erzengel Michael (1480)
Eines der originellsten und meistgekauften theologischen Bücher des 20. Jahrhunderts erschien im Jahr 1917: „Das Heilige“. Sein Untertitel lautet programmatisch: „Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen“. Sein Verfasser, der Marburger Universitätsprofessor Rudolf Otto (1869–1937), gehörte zu den Pionieren der Religionswissenschaft. Er unternahm Forschungsreisen in den Nahen und den Fernen Osten. Die Gegenstände, die er davon mitbrachte, bildeten den Grundstock für die Religionskundliche Sammlung in der Alten Landgräflichen Kanzlei. Zum Werk Ottos wird es vom 4. bis 7. Oktober 2012 einen Forschungskongress am Fachbereich Evangelische Theologie geben.
Otto ging davon aus, dass der Mensch „das Heilige“ erfahren kann und zwar als „das Ganz Andere“, als „Mysterium“, das ihn erschaudern lässt und andererseits fasziniert. Weniger bekannt ist, dass Rudolf Otto auf der Grundlage seiner Erkenntnisse über „das Heilige“ Überlegungen und konkrete Konzepte „Zur Erneuerung und Ausgestaltung des Gottesdienstes“ in Buchform veröffentlichte. Die „Anbetung“ Gottes sollte auch in der christlichen Liturgie besonderen Ausdruck finden, und zwar als eigentlicher Höhepunkt des Gottesdienstes nach der Wortverkündigung in der Predigt. Otto schlug vor, dass die Gemeinde dabei, angeleitet mit den Worten „Der Herr ist in seinem heiligen Tempel. Es sei stille vor ihm alle Welt“ (Habakuk 2,20), niederkniet und im „schweigenden Gedenken“ innehält. Nach diesem „schweigenden Dienst“ erhebt sich die Gemeinde auf einen dreifachen Glockenschlag hin und betet gemeinsam das Vaterunser. Für diesen Gottesdienst stand Otto modellhaft die Marburger St.-Jost-Kapelle vor Augen, wo er entsprechende liturgische Versuche in überschaubarer Runde unternommen hatte. Ottos Arbeit in St. Jost wurde übrigens im Jahr 1936 vom Kirchenvorstand der Lutherischen Pfarrkirche, zu der das Kapellchen damals gehörte, als „Wiederbelebung“ des gottesdienstlichen Lebens in St. Jost gewürdigt.
Rudolf Otto: Zur Erneuerung und Ausgestaltung des Gottesdienstes, S. 98 f. (PDF)
Rudolf Otto suchte auch nach einem anschaulichen Zeichen im Kirchenraum für Gottes Gegenwart, der sich die Gemeinde schweigend und dann anbetend näherte. Ein Altarkreuz war dazu weniger geeignet, weil dies eben speziell für Gottes Offenbarung in Jesus Christus, den Sohn, steht. Otto entwarf einen Raum, der entfernt an St. Jost erinnert, doch wesentlich weiter war. Er wird bestimmt von einem zentralen Bild-Symbol, das zur Anbetung Gottes führt. Die in Ottos Buch wiedergegebene Zeichnung zeigt einen Chorraum, an dessen Ostrand, über dem Altar auf einem großen, lichtdurchfluteten Glasfenster die Inschrift „Vater unser“ zu lesen ist. Im „schweigenden Gedenken“, beschlossen vom gemeinsamen, wie eine Gebetsformel gesprochenen Vaterunser sah Rudolf Otto gleichsam ein Sakrament, das „das Heilige“, nämlich Gottes Gegenwart unmittelbar erfahrbar macht.